Freitag, 16. Dezember 2011

Kaltschnäutzigkeit

Heute erfuhr ich eine Geschichte aus dem Bekanntenkreis. Ein junger Mensch, Sohn eines Kollegen, steht kurz vor dem Abitur. Im Fach Deutsch bewegt er sich, intelligent und aufmerksam, aber kein Überflieger, um die Zwei herum. Kürzlich schrieb er eine Klausur, in der es um eine Literaturinterpretation ging. Nun kann man Literatur durchaus unterschiedlich interpretieren - er jedenfalls (wie ein erstaunter Großteil seiner Klasse) - tat dies anders als seine Lehrerin. Das Ergebnis der (abiturrelevanten) Klausur: ungenügend.

Schon hier bleibt einem die Luft weg ob der Chuzpe der Lehrerin. "Meine" Schulleiterin, die ich ob ihres nüchternen Urteils schätze, meinte nur verkürzend: "Schon wenn der Mensch das Datum richtig schreibt, hat er doch mindestens eine Fünf." Ohne es in den Schulvorschriften nachgeprüft zu haben, behaupte ich: In einem interpretierbaren Fach darf es keine "richtige" oder "falsche" Lösung geben, sondern höchsten eine "angemessene", "nachvollziehbare", "realistische", "gut argumentierte" usw. All das würde ich einem Zweier-Schüler zutrauen. Doch hier ging es offensichtlich um Hopp oder Topp.

Doch es ging noch weiter: Bei der nächsten Klausur fand es die Lehrerin offensichtlich opportun, während die Schüler sich auf die Aufgaben konzentrierten, eine benotete Hausarbeit zurückzugeben. Also schritt sie durch die Reihen, um jedem mit laut hörbarem Schweigen sein jeweiliges Ergebnis um die Ohren zu hauen. Der besagte Schüler hatte eine Fünf. Wenn das kein Lehrbuchbeispiel für Motivation ist.

Der Vater des Delinquenten hat darob eine schlaflose Nacht verbracht - was ich verstehen kann und ihm meine vollste Sympathie einbringt. Man kann ihm nur dringend raten, sich einzumischen. Seinem Sohn kann er offensichtlich nicht mehr damit schaden (obwohl schon diese Überlegung ein bezeichnendes Licht auf die Situation Einzelner angesichts übermächtiger Systeme wirft). Schlimm genug: die Worte "Klage" und "Verwaltungsgericht" werden vermutlich Wunder wirken.

Allerdings nur bezogen auf die Notengebung., denn nur die könnte justiziabel sein. Was ich aber als Ausdruck vorsätzlicher Kaltschnäuzigkeit empfinde, ist die gezielte und perfide Demotivation im zweiten Fall. Bei allem Wohlwollen ist dies für einen Pädagogen absolut inakzeptabel. Die Lehrerin hat sich damit als grundsätzlich ungeeignet für ihren Job erwiesen - schon weil ihr ein Menschenbild zu eigen ist, dass sich mit modernen, aufgeklärten Gesellschaften absolut nicht verträgt. Und zwar indiskutabel. In einem Unternehmen würde sie damit zu einem Sozialfall. Das staatliche System Schule jedoch wird seine schützende Hand noch lange über sie halten, bis eine wirkliche Katastrophe passiert.

Die Vorsehung beschütze uns vor solchen Lehrern. Oder, wie im wundervollen Film von Reinhard Kahl (Treibhäuser der Zukunft) der Leiter den Bodensee-Schule sagt: "Die Lehrer sind schon das Problem"...

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